G4 – Defender 90

Besser als das Original?

Im Winter 2009 kam mein Kunde Jan zu mir und äußerte seinen Traum von einem Land Rover Defender. Er formulierte es folgendermaßen: sein Landi sollte sich von der Masse abheben und ein extrem belastbarer Off-Roader sein.

Da ich mich gerade erst mit einer unabhängigen Land Rover Werkstatt in Hildesheim selbständig gemacht hatte, war ich immer noch auf der Suche nach einem Vorzeigeprojekt, durch welches ich beweisen konnte, was ich wirklich kann und wozu ein Land Rover fähig ist.

Durch das Scannen von unzähligen, kleineren Anzeigen – europaweit – fand ich schließlich in den Niederlanden einen G4 Defender 90, der 91 000 Kilometer auf dem Tacho hatte. Er hatte bereits einen schweren Unfall hinter sich, wobei er sich dreimal einen Abhang hinunter überschlagen hatte. Nach einer Überprüfung fanden wir heraus, dass es sich bei diesem G4 tatsächlich um einen der nur 10 weltweit produzierten G4s von Land Rover handelte. Ab diesem Zeitpunkt wurde die ganze Geschichte interessant. Jan und ich haben lange und viel über das Fahrzeug diskutiert, bevor wir uns dazu entschieden, zuzuschlagen. Was ist, wenn der Rahmen verbogen ist? Startet der Motor? Und wahrscheinlich die wichtigste Frage: Was wird das Projekt G4 kosten? All das waren Fragen, die geklärt werden mussten.
Nach der Begutachtung der Fotos des Wracks – auf einem Gabelstapler im Schnee – war der Deal gemacht: 5000 € und eine Woche später kam das Fahrzeug per Abschleppwagen in meine Werkstatt.

Es wäre einfacher gewesen, aufzuzählen, was an dem Fahrzeug NICHT kaputt war , als aufzuzählen, was alles kaputt oder verbogen war oder gar komplett fehlte. Es waren weder ein Dach, noch Seitenwände oder eine Batterie vorhanden. Jedes einzelne Fenster war kaputt. Der Rahmen war beinahe 3 cm von dort entfernt, wo dieser eigentlich sein sollte. Der hintere rechte Längslenker war um 90 Grad verbogen, die Spritzwand auf der linken Seite um knapp 4cm weiter vorgerückt als die rechte Seite, die Getriebaufhängung gerissen und im Motor fehlte Antifrost.
Auf die Äußerung des Sohnes meines Kunden, das Lenkrad sei nicht mehr rund, erwiderte ich, dass immerhin die Beifahrertür noch gerade sei.
„Houston, wir haben ein Problem“, geisterte mir durch den Kopf.

Jan und ich diskutierten über Fahrwerkssysteme, Überrollkäfig, Differentialsperren und andere gravierende Modifikationen wie hydraulische Winden. Auf diese Weise wurde ein Plan erstellt und wir machten uns an die Arbeit!
Einen Samstag lang nahmen Jans Familie und mein Team den G4 komplett auseinander und sortierten dabei die wenigen, gut erhaltenen Teile in beschriftete Boxen (wovon wir am Ende nicht sehr viele hatten). Die übrigen, nicht mehr verwendbaren Teile kamen nach draußen auf einen Stapel.

Meine gute Erfahrung mit der Firma Richard Chassis aus England, bei der ich schon vorher neue verzinkte Rahmen erworben und eingebaut hatte (die gleich beim ersten Versuch passten), hat mich dazu bewogen, dort den neuen Rahmen zu bestellen. Eine neue Spritzwand wurde organisiert, in einem Säurebad gesäubert und voll verzinkt. Ich mußte mir immer wieder von allen Seiten anhören, dies könne nicht umgesetzt werden, was mich weiterhin motivierte, das Gegenteil zu beweisen. In meinen Augen war die Spritzwand nicht verzogen, sondern sie hatte lediglich leichte „Wellen“.
Wir wollten bei unserem Landi das Gefühl und die Gewissheit umsetzen, dass er NIEMALS rosten wird. Die Achsen wurden entfernt, auseinandergebaut, gesäubert und in der Farbe Schwarz Berox 3 : 1, welche nicht wie Hamerrite aushärtet und zusätzlich den Vorteil von Rostschutz und gutem Aussehen hat, gestrichen. Alle Teile aus Eisen (Stehwand, Federhalterungen usw.) wurden eingesandt, um sandgestrahlt und verzinkt zu werden.

Da wir bereits vor dem Auseinanderbauen des Fahrzeugs den Motor gestartet hatten, wussten wir, dass dieser funktionierte. Durch Recherche in den Garantiearchiven von Landrover nach Hintergrundinformation fand ich heraus, dass dieses Fahrzeug vor etwa 9000 km bereits einen Austauschmotor eingesetzt bekommen hatte. Die erste gute Nachricht!
Also wurde der Motor ausgebaut und überprüft. Zur Vermeidung des typischen Td5 Schwungscheibenproblems wurden eine neue, einteilige Schwungscheibe und eine Heavy Duty Kupplung eingebaut. Dazu hatten wir zuvor die alte 2-Massen-Schwungscheibe ausgeschlagen. Anschließend wurde das Verteilergetriebe umgebaut in eine 1.222 Discovery Übersetzung von Ashcroft Transmissions, durch welche die Drehzahl beim Befahren normaler Straßen bei gleichbleibender Geschwindigkeit verringert wird und die Geländeübersetzung erhalten bleibt. Vorne wurde ein neuer Ausgangsflansch für die Doppel-Gelenk-Kardanwelle eingebaut. Das Hauptgetriebe wurde so gelassen wie dieses war; wir mussten riskieren, dass dieses fehlerhaft war, weil eine Testfahrt durch alle Gänge unmöglich war. Wir haben getan, was wir konnten: neue Ausgangs-/Eingangsdichtungen, obere Dichtung und Betätigungsbuchsen. Als der Rahmen ankam, war der G4 mit dem Gewicht des eingebauten Zubehörs auf der Straße gerade so zu halten. Wir haben alles mitgenommen: die Nachlaufwinkelkorrektur vorne und hinten, HD Big Bore Stoßdämpfer (beinahe so groß wie das Innenmaß von der vorderen Feder) und erweiterte Edelstahl-Bremsschläuche. Die Schubstrebe und die Panham Arme wurden mit orangenen Poly Bushes mit neuen Bolzen und Muttern versehen. Da alle G4 Challenge Fahrzeuge die Farbe Tangiers Orange (Farbcode LRC 241) aufweisen, passten die Poly Bushes perfekt zusammen!

Nachdem die Spritzwand vom Verzinken zurückgekommen war, wurde sie zusammen mit dem gebrauchten Dach, Seitenwänden, Motorhaube, Kotflügel und hinterer Heckpartie zum Lackieren verschickt. Diese Teile hatte ich mir zuvor in einem großen Paket aus England zuschicken lassen. Der äußere Kotflügel wurde mit dem neuesten Kotflügel aus Kunststoff, den es auf dem Markt gibt, versehen. Da dieses Fahrzeug für richtige off-Road-Aktionen konstruiert werden sollte, war die bessere Zurückformbarkeit dieses Materials unser Hintergedanke. Vor dem Lackieren des kompletten Fahrzeugs , bauten wir dieses noch einmal komplett zusammen. Wir wollten überprüfen, ob mit dem Einsetzen des Full-Size-Käfigs auch noch alle Komponenten zusammenpassten. Hierbei mussten noch einige Teile ausgeschnitten und nachgebessert werden. Anschließend wurde der G4 wieder komplett auseinandergebaut, um ihn für die Lackierung vorzubereiten.

Nach dem Einbau der frisch lackierten Spritzwand und Heckpartie, konnten wir mit dem Einsetzen der Milemarker 5.6 Ton hydraulischen Winde beginnen (welche auch in den Fahrzeugen des amerikanischen Militärs verwendet werden). Dieses Kraftpaket, angetrieben von einer speziellen 22cc Pumpe an der Transfer-Box, sitzt in einer Terrafirma Wettbewerbs-Windenstoßstange. Die Anpassung verlief beim ersten Versuch erfolgreich, sogar mit der besonderen Lage des Klimaanlagen-Kondensators und den dazugehörigen Schläuchen. Der hydraulische Tank passte perfekt zwischen den Fahrersitzkasten und der Heckpartie, der dazugehörige Einfüllstutzen verschwand hinter dem Fahrersitz auf dem Boden. Der Schalter für die Pumpe fand seinen Platz neben der Handbremse, in Kombination mit einer 2:1 Übersetzung erreichten wir nun auf der letzten Trommelschicht ein Abschleppzugpotential von über 10 Tonnen. Wenn das nicht genug ist, hilft nur noch ein Chinook Hubschrauber!

Den Batteriekasten wollten wir nicht mit einem hydraulischen Tank belegen, weil wir den Platz für rote und gelbe Top Optima Batterien brauchten. Außerdem sollten dort ein getrenntes Ladesystem und ein paar Werkzeuge untergebracht werden.
In den Fußraum der Beifahrerseite wurde eine 12V/600A-Steckdose eingebaut, wodurch mit Hilfe eines 5 Meter langen Kabels die Möglichkeit zur Überbrückung anderer Fahrzeuge besteht, ohne dass der Fahrersitz ausgebaut werden muss.
In den rechten Sitzkasten haben wir einen ARB-Kompressor mit Luftschläuchen für die vordere und hintere ARB Sperre eingebaut, die dazugehörigen Luftleitungen liegen versteckt auf dem rechten Rahmen. Im Beifahrer-Fußraum befindet sich außerdem ein separater Luftschlauch-Anschluss, für den Fall, dass es mal nötig sein sollte, einen BF Goodrich MT 255/85 R 16 Reifen aufzupumpen.
Durch den Einbau eines Luftdruckwarnsystems in die 7Jx16 Wolf Modular Felgen wird bei absteigendem Druck und ansteigender Temperatur in allen 4 Rädern ein Warnsignal an den Fahrer gegeben. Der jetzige Ersatzradhalter (swing away wheel carrier) transferiert das Gewicht weg von der neuen einteiligen Stahlhecktür auf den hinteren Rahmen. Durch einen höhergelegten Lufteinlass, eingebaut auf der vorderen, rechten Seite des Überrollkäfigs, wird die verlängerte Achsen- und Getriebeentlüftung verdeckt. Durch die besondere Abdichtung der Sitzkästen, ist das Biest sogar für kleine Schwimmausflüge bestens gerüstet! Alle Dichtungen an den Türen, Dach, Karosserie und an den Fenstern wurden ersetzt. Wo es möglich war, wurden Edelstahlschrauben und Edelstahlmuttern eingesetzt.

Sowohl der Motorraum als auch die innere Türverkleidung wurden mit einer zusätzlichen Schalldämmung versehen. Zwischen Motor- und Klimaanlagenkühler wurde ein Tuningpaket
„gesetzt“, welches aus einem Satz Turboschläuchen aus Silikon (natürlich in G4 orange) und einen um 40 % größeren Intercooler besteht. In Kombination mit dem Entfernen des EGR Ventils und des Mittelschalldämpfers und mit dem Einbau eines Green Cotton Luftfilters haben wir dem Biest ein tiefes Knurren entlocken können. Das Motorsteuergerät hat kein elektronisches Tuning bekommen, weil der Motor durch die vorher genannten Modifikationen besser atmet und eine längere Lebensdauer aufweist. Aus einem Esel kann kein Rennpferd gemacht werden, auf Dauer jedenfalls nicht, sonst wird dieser irgendwann durch einen Herzinfarkt früher in Rente gehen.

Die letzten Handgriffe beinhalteten eine Lichtstange mit 4 x Hella FM 75’s incl. einem Halter für das Nummernschild, eine Mud UK Konsole auf dem Armaturenbrett mit eingebautem Schalter für Sperren und Lampen. Die Original-Vordersitze wurden etwas überarbeitet und im Kofferraum wurden zwei G4 Sitze der Firma Exmoor Trim mit Drei-Punkt-Schultergurten platziert. Als Einstiegshilfe dient eine Original-Anhängerkupplung mit integrierter Stufe (NAS tow bar).

Nach insgesamt 6 Monaten Arbeit kam das Fahrzeug im November ohne Probleme durch den TÜV. Wir hatten immer nur zwischen dem normalen Werkstattbetrieb an dem G4 gearbeitet, um so die Lohnkosten zu reduzieren und somit das Projekt finanziell tragbarer zu gestalten.
Sich um jedes Detail zu kümmern, kostete uns Zeit. So investierte ich einen kompletten Samstag, um die vorderen Kotflügel und den Kühlergrill hundertprozentig eben zu bekommen!
Durch gute Planung vor der eigentlichen Arbeit sparte ich Zeit. So benötigte ich z.B. für die Anpassung der Brems-, Kraftstoff- und Luftleitungen für die Differentialsperre am nackten Rahmen etwa 30 Minuten. Würde man dies aber an dem noch zusammengebauten Fahrzeug durchführen, würde es etwa 3 Stunden dauern (und nicht so ordentlich aussehen)!

Es ist traumhaft, wenn man trotz Hardcore-Fahrwerk und Reifenkombination eine gemütliche Fahrt machen kann. Die Nachlaufwinkelkorrektur Schubstange und der Rückhollenkungsdämpfer vermitteln ein positives Lenkgefühl. Mit einem glücklich atmendem Td5 Motor muss man einfach lächeln. Der 10 Jahre alte Defender gibt kein Quietschen oder Knacken von sich. Wenn das Biest im Gelände zum Leben erwacht, schluckt das Fahrwerk alle Hügel und Täler und wenn die Strecke schwieriger wird, kann die mittlere Differentialsperre helfen. Wenn dies nicht ausreicht, greift die hintere Differentialsperre ein. Als allerletzte Maßnahme kann die vordere gesperrt werden, aber dies wird kaum benötigt.
Der Versicherungswert des Fahrzeugs beträgt weit über 60 000 €, was den hohen Qualitätsstandard der Restauration widerspiegelt.
Dieser G4 ist nicht länger ein Original Landrover wie er „frisch“ aus Solihull kommt, aber wie viele Land Rovers sind schon modifiziert worden?

Kaufen Sie ein Wrack, geben Sie es Graham Coster 4×4 in Hildesheim und holen Sie sich nach ca. 6 Monaten ein handgefertigtes Unikat ab!

Lang lebe Land Rover!